Warum Artur Fischer seiner Zeit voraus war.

Auf diese Frage gibt es – ganz ohne Zweifel – gleich mehrere, vielleicht sogar sehr viele Antworten. Auf eine bin ich allerdings erst kürzlich gestoßen:

Das Konstruktionssystem fischertechnik unterstützt Lernprozesse in ganz besonderer Weise.

Denn Lernen, das weiß man heute, ist nicht das „Befüllen einer Datenbank mit Wissen“, sondern die „Erzeugung“ des Wissens im Kopf des Lernenden. Wissen wird also nicht einfach vom Lehrenden zum Lernenden „transferiert“, sondern Lernen ist selbst ein „konstruktiver“ Vorgang, bei dem der Lernende Vorwissen mit Erfahrung anreichert und erweitert sowie durch Wiederholung vertieft.

Aus der Neurobiologie weiß man inzwischen, dass Lernen unter anderem dann besonders effektiv ist, wenn es verschiedene Gehirnareale einbindet – also sprachlich, anschaulich, handelnd-motorisch und durch Frage und Antwort erfolgt. Dass fischertechnik – vor allem in einer sozialen Gruppe – genau diese vier Ebenen anspricht, ist jedem klar, der einmal ein (eigenes) Modell konstruiert hat.

Und einen weiteren Lernfaktor bedient das Konstruieren mit fischertechnik: Positiv erlebter, so genannter „leichter Stress“ (nicht jede Lösung klappt sofort und wie gedacht) gepaart mit „berechtigtem Lob“ – dem Glücksgefühl, wenn ein Mechanismus schließlich funktioniert.

Daher hat fischertechnik als Lernmaterial anderen Konstruktionsbaukästen etwas voraus:

  • Die vielseitige Verwendbarkeit der Bausteine macht eine Modellkonstruktion zu einer eigenständigen Leistung – es werden nicht vorgefertigte Spezialbausteine nach Anleitung an die richtige Stelle gesetzt, sondern die Funktion erreicht man erst mit einer geeignet konzipierten Konstruktion. Wenn das gelingt, wertet das limbische System das als „Leistung“ und das unvermeidlich einsetzende „lobende“ Glücksgefühl über den Erfolg als „verdient“.
  • Jede technische Fragestellung kann mit fischertechnik-Bauteilen auf viele unterschiedliche Arten gelöst werden. Die wiederholte Verbesserung einer Modellkonstruktion oder eines Mechanismus‘ ist dabei gewissermaßen die physische Verkörperung des Lernvorgangs: Über die Verbesserungsschritte werden die erforderlichen Eigenschaften einer geeigneten Lösung plastisch; Wesentliches wird dabei quasi automatisch von Unwesentlichem getrennt.
  • Mit ein wenig Erfahrung mit dem fischertechnik-System beginnt die Konstruktion von Mechanismen bereits „im Kopf“: Die übersichtliche Anzahl und zusammenhängende Systematik der Grundelemente (Grundbausteine, Winkelsteine, Statikstreben und Winkelträger, Zahnräder und Achsen) macht sie zu Bauteilen einer kognitiven Repräsentation von technischen Zusammenhängen.

Als Artur Fischer 1964 den fischertechnik-Grundbaustein entwarf, war das alles noch nicht bekannt – und das Lernmaterial Maria Montessoris, das ähnlichen Lernprinzipien folgt, genoss eher den Ruf des „Esoterischen“. Mit dem erkennbaren Trend zur Umstellung des schulischen Lernens auf „schülerzentrierten Unterricht“, „problembasiertes Lernen“ und „entdeckendes Lernen“, mit dem den Erkenntnissen der Neurobiologie deutlich besser Rechnung getragen wird als mit klassischem Frontalunterricht, steht fischertechnik die eigentliche „Blüte“ im schulischen Einsatz vielleicht (und hoffentlich) erst noch bevor.

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