Die Systematisierung des Wissens in der technischen Mechanik reicht historisch bis in die vorchristliche Zeit zurück. Leider sind aus dieser Zeit nur wenige schriftliche Werke erhalten; viele gingen wahrscheinlich beim Brand der legendären Bibliothek von Alexandria und während der späteren Herrschaft der Römer für immer verloren, darunter auch große Teile des Wissens der Griechen. Einen Teil der Erkenntnisse in der technischen Mechanik hat später der römische Baumeister Vitruvius (1. Jhd.) in seinen „10 Büchern über die Architektur“ zusammengefasst, die erst viele Jahrhunderte später in der Renaissance, unter anderem von Leonardo da Vinci (1452-1519), wiederentdeckt wurden.
Im Jahr 1696, knapp 180 Jahre nach dem Tod Leonardo da Vincis, schlug ein schwedischer Ingenieur namens Christopher Polhem (1661-1751) dem schwedischen König die Einrichtung eines „Laboratorium Mechanicum“ vor, das als Ausbildungsstätte für technische Ingenieure dienen sollte. Für dieses Labor entwickelte er, inspiriert unter anderem von Leonardos Skizzen technischer Maschinenteile, Modelle elementarer Maschinenelemente, die er „Mechanisches Alphabet“ nannte.

Leider sind nur wenige Exemplare des ursprünglich über 100 Konstruktionen umfassenden „Alphabets“ erhalten. Sie wurden immerhin von einem der Schüler Polhems, Carl Johan Cronstedt, 1729 in einem Skizzenbuch dokumentiert, das aber leider nicht veröffentlicht ist. Lesenswert ist in diesem Zusammenhang auch der schöne Bildband „Die Maschine“ von Sigvard Standh.
[Anm.: Wer die wundervolle Weihnachtsgeschichte „Morgen, Findus, wirds was geben“ des genialen schwedischen Kinderbuchautors Sven Nordqvist kennt, wird sich erinnern: Es war ein Hinweis auf das mechanische Alphabet von Polhem in einem Buch über technische Mechanik, dem Petterson die entscheidende Idee für die Konstruktion seiner Weihnachtsmannmaschine verdankt…]
Diese Idee des ‚mechanischen Alphabets‘ aus Grundmechanismen wurde von verschiedenen Maschinenbauern aufgegriffen, z.B. von dem Deutschen Ingenieur Franz Reuleaux (1829-1905). 220 seiner Modelle wurden von der Cornell University erworben und können heute online bewundert werden.

Im Jahr 1968 griff fischertechnik die Idee auf und veröffentlichte zwei sehr instruktive Büchlein mit dem Titel „Spielen und Erkennen mit fischertechnik“, in deren erstem Band ein mechanisches „fischertechnik Alphabet“ vorgestellt wird. Zum Glück gibt es einen Scan des Heftchens, den der holländische fischertechnik-Club zum Download bereithält.
Übrigens gibt es auch eine sehr schöne Webseite von der „Gesellschaft zur Förderung der Digitalen Mechanismen- und Getriebebibliothek e.V.“ (DMG-Lib), in der 3.400 Grundgetriebearten nach Fanz Reuleaux mit Beschreibung und Modellfoto dokumentiert sind. Vielleicht gelingt ja eines Tages eine aktualisierte und erweiterte Fassung des „fischertechnik Alphabets“…
Die Idee von Christopher Polhem hat jedenfalls bei der Gestaltung der Getriebe-mit-fischertechnik-Videos Pate gestanden:
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