Was ein fischertechniker im Bücherschrank stehen haben sollte (Teil 11).

Nach der Entdeckung Amerikas Ende des 15. Jahrhunderts „eroberten“ Schiffe die Weltmeere – und verließen die Sichtweite der Küsten. In einer Zeit ohne GPS war die Positionsbestimmung dabei eine Herausforderung: Der Breitengrad ließ sich z. B. anhand des Sonnenstands relativ leicht bestimmen, aber der Längengrad war ein Problem. Denn die Bestimmung der Länge benötigt die Bestimmung des Zeitabstands von einem Referenzort – einem „Null-Meridian“, für den sich ab 1767 der Längengrad der Sternwarte von Greenwich bei London durchsetzte (und 1885 international verbindlich wurde). Bei einem Zeitmaß von 24h je Erdumdrehung entspricht eine Stunde genau 15° geografischer Länge. Auf der Höhe des Äquators sind das rund 1670 km – eine ungenaue Längengradbestimmung kann daher erhebliche Navigationsfehler zur Folge haben. Genaue Uhren existierten allerdings nicht, und die Versuche, die Mondposition („Monddistanzmethode“) als „Zeitreferenz“ zu nutzen, waren nicht genau genug.

Viele Ziele konnten nur durch die „Breitengradmethode“ einigermaßen zielgenau angesteuert werden: Das Schiff segelte von einem Punkt mit demselben Breitengrad wie das Ziel exakt nach Westen oder Osten. Zahlreiche Schiffe sanken aufgrund fehlerhafter Navigation in Küstennähe, wenn die Sicht durch Nebel oder Dunkelheit beschränkt war. Daher lobte Spanien schon 1567 einen hohen Preis für eine Lösung der Längengradbestimmung auf See aus; Portugal, Venedig, Holland und Frankreich folgten diesem Beispiel. Die von Christiaan Huygens 1656 entwickelten Pendeluhren erhöhten die Gangenauigkeit auf einen Fehler von weniger als einer Minute am Tag; auf schwankenden Schiffen waren sie aber nicht verlässlich einsetzbar, und die Gangenauigkeit war temperaturabhängig, da das Material des Pendels sich bei Anstieg der Temperatur ausdehnte und die Uhr dadurch langsamer lief. Mit der Entwicklung der Unruh konnte Huygens die Gangenauigkeit auf unter eine Minute am Tag erhöhen – aber die Spiralfedern der Unruh reagierten besonders empfindlich auf Temperaturschwankungen.

1707 verloren die Briten vier Kriegsschiffe direkt vor der Südwestküste Englands durch eine fehlerhafte Längenbestimmung – 2000 Besatzungsmitglieder inklusive des Flottenadmirals ertranken. Daraufhin schrieb die britische Krone im „Longitude Act“ 1714 das damals gigantische Preisgeld von 20.000 Pfund für die Entwicklung einer Methode aus, mit der sich der Längengrad auf See auf ein halbes Grad genau bestimmen ließe – immer noch eine Unschärfe von rund 55 km. Tatsächlich gelang einem Tischler 1764 die Lösung: 44 Jahre hatte John Harrison (1693-1776) an vier Uhrmodellen gearbeitet, bis seine H4 (eine Taschenuhr) die Testfahrt bestand. Dabei entwickelte er zahlreiche geniale Neuerungen, darunter einen Temperaturausgleich für Pendeluhren, eine nahezu reibungsfreie Lagerung, einen Federaufzug sowie einen Temperaturregler („Bimetall“) für die Unruh. Erst neun Jahre später wurde ihm der Preis zuerkannt.

Jonathan Betts - Harrison.jpg

Das wunderschöne Bildbändchen „Harrison – Eine Uhr zur Bestimmung des Längengrads“ von Jonathan Betts aus dem Jahr 2009 erzählt die Geschichte des Längengradproblems und seiner Lösung durch Harrison mit wunderschönen Abbildungen, dem geschichtlichen Kontext und einigen technischen Erläuterungen. Lesenswert. Auch wenn die Konstruktion eines vergleichbar präzisen Schiffschronometers mit fischertechnik wahrscheinlich außerhalb unserer Möglichkeiten liegt… aber wer kann das schon sicher sagen…

Schiffschronometer H1 (John Harrison)
Schiffschronometer H1 von John Harrison

P.S.: Eine gründliche und lesenswerte Darstellung der Geschichte des Längengradproblems hat 1995 Dava Sobel („Längengrad“, 1995) verfasst – lesenswert und auch verfilmt („Der Längengrad“ von Charles Sturridge aus dem Jahr 2000, mit Jeremy Irons und Michael Gambon in den Hauptrollen) – als fast dreistündiger Zweiteiler.

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