Warum die fischertechnik-Roboter „Turtle“ hießen.

Die frühen zweirädrigen Fahr-Roboter von fischertechnik wurden – abgesehen vom „BBC-Buggy“ aus dem Jahr 1983 – in den Anleitungen meist als „Turtle“ oder Schildkröte bezeichnet, z.B. im Experimentierhandbuch zum Baukasten Computing Experimental (39502) aus dem Jahr 1987, dem Experimentierbuch Profi Computing (36069) aus dem Jahr 1991 oder der Anleitung Experimenta Computing (30625) aus dem fischertechnik Schulprogramm 1994 von Cornelsen. Eine etwas merkwürdige Bezeichnung, erinnern die Konstruktionen doch nicht einmal entfernt an eine Schildkröte.

Doch die Bezeichnung „Turtle“ begegnet uns auch außerhalb von fischertechnik: Der dreieckige „Mauszeiger“ der Programmiersprache LOGO aus dem Jahr 1968 heißt ebenfalls „Turtle“. Also muss man wohl ein wenig weiter in der Vergangenheit stöbern, um den Ursprung dieses Bildes zu finden… und stößt in den Quellen von Seymour Papert (dem „Vater“ von LOGO) irgendwann darauf: die „Tortoises“ von William Grey Walter (1919-1977) und einen Aufsatz in Scientific American aus dem Jahr 1950 mit dem Titel „An Imitation of Live“. Grey Walter hatte zwei dreirädrige kleine Fahr-Roboter, Elmer und Elsie, entwickelt, die sich mit Hilfe einer Fotozelle an Licht orientieren und über Sensoren Hindernisse erkennen konnten. Wegen ihres „Panzers“ (im Original aus Blech, im Bild aus transparentem Kunststoff) hatte er sie „Tortoises“ getauft.

„Tortoise“ Elmer von Grey Walter (Foto: Eric Long, Sammlung des National Museum of American History, Smithsonian)

Da das Fahrverhalten der „Schildkröten“ sehr natürlich wirkte und sie zuverlässig auch bei Hindernissen irgendwann ihr Ziel fanden, interpretierte Grey Walter ihr Verhalten als neuronales Lernen. In der Augustausgabe 1951 publizierte Scientific American einen zweiten Aufsatz von Grey Walter mit dem Titel „A Machine That Learns“. Seine Arbeit stieß auf große Resonanz in der Öffentlichkeit (siehe z.B. das untenstehende Video).

„Tortoises“ (Schildkröten) Elmer und Elsie von Willam Grey Walter (1950)

Von Wissenschaftlern wurden seine Interpretationen der unbestreitbar kreativen Experimente eher kritisch gesehen, wie z. B. die Analyse von Owen Holland (The first biologically inspired robots) in Robotica aus dem Jahr 2003 zeigt. Dennoch werden seine Schildkröten in der populärwissenschaftlichen Kommunikation auch heute noch gerne als Meilenstein der Robotik dargestellt, wie in dem folgenden Video aus dem Jahr 2017 mit einer Rekonstruktion einer „Tortoise“.

Video des Science-Channel (2017) mit falscher Jahresangabe im Titel…

Die Bezeichnung „Turtle“ für dreirädrige Roboter mit Hindernissensoren hielt sich noch viele Jahrzehnte nach Walters Experimenten, auch wenn sich wahrscheinlich nur noch wenige an den eigentlichen Ursprung dieses Namens erinnern konnten. Tatsächlich findet sich im Begleitheft zum 2002 erschienenen fischertechnik-Baukasten „Mobile Robots II“ (78251) eine ausführliche Würdigung der Experimente von Grey Walter (dort irrtümlich „Walter Grey“ genannt).

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